«In der Robotik stehen wir an einem entscheidenden Wendepunkt»

«In der Robotik stehen wir an einem entscheidenden Wendepunkt»

Welches sind die grössten Herausforderungen in der Robotikforschung und welche Rolle spielen ethische Überlegungen bei der Gestaltung und Nutzung von Robotik-Technologien? Antworten darauf hat Katrin Lohan, Dozentin für Robotik und Automation an der OST – Ostschweizer Fachhochschule.

Katrin Lohan, Sie sind an der OST Institutsleiterin a.i., Prof. Robotik, Profilleiterin Mechatronics and Automation. Was fasziniert Sie persönlich an der Robotik?
Ich bin immer schon von Technik begeistert gewesen, als Kind habe ich viel Freude daran gehabt Geräte (z.B. Telefone, Radios und Computer) auseinanderzubauen und dann auch wieder zusammenzusetzen. Meine Freude daran habe ich nie verloren, aber im Laufe der Zeit hat sich meine Faszination mehr auf die Interaktion mit Menschen konzentriert. Es ist mir wichtig, dass die Technik, die wir entwickeln, auch sinnvolle Anwendung findet und echte Probleme löst und keine Frustration bei den Menschen auslöst, die sie einsetzen.

Welche aktuellen technologischen Fortschritte in der Robotik beeindrucken Sie am meisten und warum?
Die jüngsten Fortschritte im Bereich der Chat Generative Pre-trained Transformer Netzwerke sind zweifellos beeindruckend und haben das Potenzial, verschiedene Branchen, einschliesslich der Robotik, massgeblich zu verändern. Die rasche Integration dieser Technologie in verschiedene Anwendungsbereiche ist bemerkenswert. In der Robotik stehen wir meiner Meinung nach an einem entscheidenden Wendepunkt.

Und was bedeutet das?
Die Komplexität mechatronischer Systeme wie Roboter erfordert ein umfassendes Fachwissen, um sie zu entwickeln, zu programmieren und einzusetzen. Die Einführung von Chat Generative Pre-trained Transformer Netzwerken bietet insbesondere im Bereich der Kommunikation und Programmierung von Robotern erhebliches Verbesserungs- und Beschleunigungspotenzial. Durch den Einsatz dieser fortschrittlichen Technologie können wir den Entwicklungsprozess von Robotern effizienter gestalten und die Hürde für den Zugang zu Robotik-Kenntnissen senken. Die Möglichkeit, auf natürliche Weise mit Robotern zu interagieren und komplexe Anweisungen in natürlicher Sprache zu geben, erleichtert nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, sondern ermöglicht auch eine schnellere Entwicklung und Implementierung von Robotersystemen.

«Die Ostschweiz spielt eine bedeutende Rolle im breiten Spektrum der Robotik.»

ETH-Professor Roland Siegwart sagte kürzlich, die Schweiz sei ein «Hotspot der Robotik». Welchen Stellenwert hat die Ostschweiz?
Die Ostschweiz spielt eine bedeutende Rolle im breiten Spektrum der Robotik, insbesondere durch ihre starken Industrien z. B. im Bereich der Sensortechnik. Diese Expertise spiegelt sich auch in der OST wider, insbesondere in unserem Institut für Mikrotechnik und Photonik sowie in unseren 600m2 hervorragend ausgestatteten Reinräumen (ISO 5-7) mit verschiedenen Technologien. Darüber hinaus ist die Initiative im Bereich der Agrarrobotik, wie das LivingLab in Tänikon, als ein Vorreiter für die Schweizer Robotik der Zukunft hervorzuheben. Mit seiner langen Laufzeit und der Farm2Food-Strategie dürfen wir hier auf weitreichende Veränderungen, positive Unterstützung und Innovationen im Agrarbereich der Schweiz hoffen.

Wie beurteilen Sie die aktuellen Herausforderungen in der Robotikforschung und -entwicklung und welche Ansätze verfolgen Sie an der OST, um diese zu bewältigen?
Eine der grössten Herausforderungen in der Robotikforschung und -entwicklung besteht zweifelsohne darin, dass einerseits qualifiziertes Personal knapp ist und andererseits ein umfangreiches Lernpensum im STEM-Bereich (Naturwissenschaften, Technologie, Ingenieurwesen, Mathematik) erforderlich ist. Dies kann junge Menschen häufig davon abhalten, eine Zukunft im Bereich der mechatronischen Systeme zu sehen. An der OST setzen wir uns aktiv mit dieser Problematik auseinander.

Wie konkret?
Unsere Bachelor-Studiengänge in Mechatronik bieten eine umfassende Ausbildung in den relevanten Fachgebieten und ermöglichen den Studierenden praktische Erfahrungen durch Projekte und Forschungstätigkeiten. Der konsekutive Master in Mechatronik und Automation baut auf diesem Fundament auf und vertieft das Wissen in spezifischen Bereichen, um den Studierenden eine Expertise auf höchstem Niveau zu vermitteln. Darüber hinaus bietet unser Master of Engineering in Mechatronik eine Weiterbildungsmöglichkeit für Fachkräfte, die bereits im Bereich der Mechatronik tätig sind und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten weiterentwickeln möchten.

Durch das breite Spektrum an Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich der Mechatronik tragen wir dazu bei, die Lücke an qualifiziertem Personal zu schliessen und jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, eine vielversprechende Zukunft in diesem dynamischen und zukunftsweisenden Bereich zu sehen.

«Die ethischen Fragestellungen in der Robotik sind äusserst vielschichtig.»

Inwiefern spielen ethische Überlegungen eine Rolle bei der Gestaltung und Nutzung von Robotik-Technologien, und wie können diese Aspekte in der Forschung und Praxis berücksichtigt werden?
Die ethischen Fragestellungen in der Robotik sind äusserst vielschichtig und stellen eine bedeutende Herausforderung dar. In unserem Team an der OST verfolgen wir in der Regel einen menschenzentrierten Ansatz bei der Entwicklung neuer Systeme. Dabei stellen wir die Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen in den Vordergrund, um ethischen Fragestellungen frühzeitig zu begegnen.

Dennoch erfordert es oft zusätzliche Abklärungen, die über diesen Rahmen hinausgehen. In solchen Fällen kommen spezialisierte Ethikkommissionen ins Spiel, insbesondere in Bereichen wie Pflege oder Gesundheit. Diese Kommissionen spielen eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung und Lösung komplexer ethischer Dilemmata, die mit dem Einsatz von Robotik in sensiblen Umgebungen verbunden sind.

Und dafür braucht es klare Regularien seitens des Gesetzgebers.
Richtig. Und die sind von entscheidender Bedeutung, um die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich zu unterstützen und sicherzustellen, dass richtige Entscheidungen getroffen werden. Die Einhaltung dieser Regularien bietet nicht nur rechtliche Sicherheit, sondern fördert auch einen verantwortungsvollen Umgang mit Technologie und trägt dazu bei, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Fortschritt in der Robotik zu stärken. Durch die Kombination von menschenzentriertem Design, der Einbeziehung spezialisierter Ethikkommissionen und klarer gesetzlicher Regularien können wir sicherstellen, dass die Entwicklung von Robotik-Systemen im Einklang mit ethischen Grundsätzen und dem Wohl der Gesellschaft erfolgt.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Ihrem Institut und Industrieunternehmen, um aktuelle Entwicklungen in der Robotik voranzutreiben?
Beispielsweise in unserem AMEA-Projekt sehen wir uns als wichtige Unterstützer für Unternehmen aller Grössenordnungen, angefangen von den kleinsten Industrieunternehmen bis hin zu den grössten Akteuren, die ihre neuen Produkte entwickeln, validieren und gestalten möchten. Wir betrachten uns dabei als eine Art externe Forschungs- und Entwicklungsabteilung für Unternehmen in unserer Region.

«Eine zentrale Herausforderung liegt in der Etablierung klarer Standards.»

Welche Trends und Innovationen erwarten Sie in den nächsten Jahren im Bereich der Robotik, und wie positioniert sich Ihr Institut, um auf diese Entwicklungen einzugehen?
Die aktuellen Trends in der Robotik werden weiterhin stark von zwei entscheidenden Faktoren geprägt: dem enormen Druck auf dem Arbeitsmarkt und dem Fachkräftemangel in verschiedenen Bereichen wie z.B. dem Gesundheits- und Pflegesektor sowie den Auswirkungen des sich wandelnden Klimas. Diese Dynamiken zwingen die Branche dazu, sich verstärkt auf Innovationen zu konzentrieren, die Effizienz steigern und Arbeitskräfte entlasten.

Und wo liegen dabei die grössten Herausforderungen?
Eine zentrale Herausforderung liegt in der Etablierung klarer Standards, Sicherheitskonzepte und Vorgaben, die eine sichere Integration von Robotern in diverse Arbeitsumgebungen gewährleisten. Im Hinblick auf autonome Systeme ist die Stromversorgungsstrategie ein bedeutender Faktor. Die Leistungsgewichtskorrelation bei Batterien stellt häufig eine Einschränkung dar, die die Einsatzmöglichkeiten solcher Roboter beeinflusst. Daher ist eine gezielte Optimierung dieser Systeme von grosser Bedeutung, um ihre Leistungsfähigkeit zu maximieren. In unserem Institut konzentrieren wir uns nicht nur auf die Entwicklung von Robotern.

Sondern … ?
… auch auf Automatisierungstechniken, Produktionsaspekte, Design, Auslegung, Konstruktion sowie die mechanische Entwicklung solcher System und deren eingebettete Software. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Batterietechnologie und der Elektrifizierung von mechatronischen Systemen. Indem wir diese Herausforderungen und Chancen angehen, sind wir zuversichtlich, dass wir einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt und zur Förderung der Innovationskraft in der Robotik leisten können.

Interview: Patrick Stämpfli
Bild: Marlies Beeler-Turnheer

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