Was digitale Medien in Kinderhirnen auslösen

An einer Fachtagung in St.Gallen diskutierten rund 250 Fachleute, wie Smartphones und digitale Medien die Entwicklung junger Menschen beeinflussen. Die Erkenntnisse: Vieles ist unklar, manches riskant und einiges bietet Chancen.
Die Klinik Sonnenhof lud am 13. November zu einer Fachtagung in die Olmahalle St.Gallen. Unter dem Titel «Zwischen Bildschirm und Beziehung» zeigten fünf Expertinnen und Experten auf, wie digitaler Medienkonsum die psychische und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen prägt. Für Ender Seba, Chefarzt des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Zentrums der Klinik Sonnenhof, steht fest: Digitale Geräte prägen den Alltag, gleichzeitig fehlen belastbare Forschungsresultate.
Forschung mit grossen Lücken
Paul Plener, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien, machte deutlich, wie widersprüchlich die aktuelle Studienlage ist. Junge Menschen verbringen jährlich rund 1,5 Monate am Stück online. Übermässige Bildschirmzeit im Kleinkindalter kann Sprachentwicklung und Kognition beeinträchtigen und später das Risiko für Depressionen erhöhen. Belegt ist allerdings wenig. Sicher scheint nur: Die blosse Anwesenheit eines Smartphones mindert Konzentration und Leistung. Pleners Rat an Eltern: Vorleben, nicht verbieten.
Digitale Medien als Zeiträuber
Eva Unternährer (Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel) und Fabio Sticca (Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik) fokussierten auf die frühe Kindheit. Digitale Medien konkurrieren dort direkt mit zentralen Entwicklungserfahrungen wie Bewegung und sozialem Lernen. Schweizer Daten zeigen: Schon im ersten Lebensjahr liegt die durchschnittliche tägliche Medienzeit bei knapp einer Stunde. Besonders in bildungsfernen Haushalten ist die Nutzung höher. Die beiden Fachpersonen betonten, dass nicht nur die Menge, sondern auch Kontext und Inhalte zu berücksichtigen sind. Ihre Kernaussage: Eltern müssen Regeln setzen und selbst eine massvolle Nutzung vorleben.
Sexting und Cybermobbing als reale Risiken
Jael Dahinden vom Kinderschutzzentrum St.Gallen brachte die Perspektive aus der Praxis ein. Sie sprach offen über die Risiken von Pornografie, Sexting und Cybermobbing. Der Kontakt mit entsprechenden Inhalten sei nicht eine Frage des Ob, sondern des Wann. Dahinden wies darauf hin, dass digitale Mobbingformen besonders hartnäckig sind, da sie keine Rückzugsräume lassen. Sie fordert, Hinweise ernst zu nehmen, früh anzusetzen und Jugendlichen Medienkompetenz zu vermitteln. Verbote ohne Begleitung führten ins Leere.
Digitale Tools in der Therapie
Zora Föhn von Interface Politikstudien untersuchte das Potenzial digitaler Angebote für die psychische Gesundheit. Ihr Fazit ist nüchtern: Digitale Helfer wirken bislang kaum bis moderat, bieten aber niederschwelligen Zugang, vor allem für junge Erwachsene. Qualität und Evidenz fehlen jedoch häufig. Bei über 10 000 verfügbaren Apps sei Orientierung schwierig. Potenzial sieht Föhn vor allem in frühen Krankheitsphasen. Voraussetzung ist ein gut gemachtes, geprüftes Angebot.
Text: pd/red
Bild: zVg