Wie schädlich sind Lithium-Ionen-Akkus?
Lithium-Ionen-Akkus gehören aktuell zu den effizientesten Energiespeichern der Welt. Doch vor allem die Rohstoffe, die für die Herstellung der Batterien benötigt werden, stehen in der Kritik.
Lithium-Ionen-Akkus stecken in vielen Dingen, die wir täglich verwenden: von Smartphones über Laptops bis hin zu E-Autos und industriellen Elektrowerkzeugen. Der Abbau der in den Akkus enthaltenen Rohstoffe birgt allerdings ökologische und soziale Risiken. Wir haben bei Marcel Gauch, Nachhaltigkeitsforscher der Empa St.Gallen nachgefragt, wie Lithium-Ionen-Batterien funktionieren und welche Alternativen es gibt.
Marcel Gauch, für uns Laien: Wie genau funktioniert eine Lithium-Ionen-Batterie?
Taucht man zwei verschiedene Elemente (Elektroden) in eine leitfähige Substanz (Elektrolyt), kann man zwischen den beiden Elementen eine elektrische Spannung messen. Der Minuspol heisst Anode, der Pluspol ist die Kathode. Um Kurzschluss zu vermeiden, braucht es einen Berührungsschutz zwischen den Polen, meist in Form einer porösen Kunststofffolie. Im Falle einer Lithium-Ionen-Batterie besteht der Minuspol aus einer Kupferfolie, welche fast immer (für Handys, Laptops, Autos usw.) mit Graphit beschichtet ist. Der Pluspol ist eine Aluminiumfolie, welche mit einem Metalloxid beschichtet ist.
Klingt simpel …
Ist es auch. Der Aufbau ist eigentlich so simpel wie bei einem Buch mit zwei Seiten, die sich immer wiederholen. Die Beschichtungen können Lithium-Ionen aufnehmen: Beim Laden sammeln sich diese im Anodenmaterial, beim Entladen im Kathodenmaterial. Mit jedem Ion, welches in der Batterie die Seite wechselt, bewegt sich ein Elektron durch einen äusseren elektrischen Leiter – messbar als Strom. Je höher die Spannungsdifferenz zwischen den Polen und je mehr Elektronen fliessen, desto leistungsstärker ist die Batterie.
Welche Rolle spielen Lithium-Ionen-Batterien derzeit in verschiedenen Branchen und Anwendungen, und warum sind sie so weit verbreitet?
Lithium-Ionen-Batterien sind älteren Formen von elektrochemischen Energiespeichern überlegen. Sie können so designt werden, dass sie bei geringerem Gewicht und Volumen deutlich mehr Energie speichern und Leistung abgeben können als frühere Konzepte. Seit der Einführung in den 90er-Jahren haben sie sich zum Stand der Technik für Verbraucherelektronik, Industrieanwendungen und Elektromobilität entwickelt. Nebst den technischen Vorteilen haben auch die sinkenden Preise zur Verbreitung beigetragen.
Gewisse Rohstoffe, die für die Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus benötigt werden, bergen ökologische und soziale Risiken. Welche technischen Herausforderungen und Umweltauswirkungen sind mit der Herstellung und Entsorgung von Lithium-Ionen-Batterien verbunden?
Im Vergleich mit traditionellen Produkten werden Lithium-Ionen-Batterien als problematisch in der Gewinnung und Produktion betrachtet. Bei näherer Betrachtung gelten jedoch die gleichen kritischen Aspekte, wie sie auch für alle anderen Produkte zutreffen. Die Gewinnung und Aufbereitung von Rohstoffen inklusive der damit verbundenen Umwelt- und Sozialkonsequenzen muss laufend kritisch überwacht und beurteilt werden, egal ob es sich um Batteriematerialien, Metalle, Baustoffe oder Nahrungsmittel handelt. Die heutige Vorstellung von ‹Entsorgung› muss durch ein viel umfassenderes Verständnis von Recycling und Kreislaufwirtschaft abgelöst werden.
Welche Rohstoffe werden als besonders kritisch betrachtet und weshalb?
Der Fokus der Kritik bei Batterien liegt bei der Gewinnung von Cobalt für das Kathodenmaterial und von Lithium als Ladungsträger. Cobalt stammt vorwiegend aus der Demokratischen Republik Kongo, ein Teil wird informell abgebaut und wegen Kinderarbeit kritisiert. Lithium stammt zwar zu über 50 % aus Minen in Australien, wird jedoch mit Wasser- und Umweltproblemen bei der Gewinnung aus Salzseen in den Südamerikanischen Anden in Zusammenhang gebracht. Graphit wird sowohl als Nebenprodukt des Kohleabbaus vorwiegend in China gewonnen, wird aber auch aus kohlenstoffhaltigen Quellen synthetisch hergestellt.
Aus den eben genannten Gründen wird vermehrt der Ruf nach umweltschonenderen Materialien und Verfahren laut. Gibt es bereits etablierte Alternativen zu Lithium-Ionen-Batterien, die in bestimmten Anwendungsbereichen erfolgreich eingesetzt werden?
Etablierte Alternativen im grossen Stil gibt es noch nicht, jedoch einen ganzen Blumenstrauss von interessanten Ankündigungen. Dabei ist es sehr schwierig, Wahrheit und Wunschdenken aus den regelmässigen spektakulären Ankündigungen auseinander zu halten. Die Lithium-Ionen-Batterien unterscheiden sich heute praktisch nur durch das Kathodenmaterial. Es gibt einen klaren Trend, bei der bisherigen üblichen Kombination von Nickel, Mangan und Cobalt den Anteil von Cobalt auf ein Minimum zu reduzieren. Einen starken Anstieg erleben Batterien mit Kathoden aus Lithium-Eisenphosphat (LFP), bei welchen komplett auf umwelt- und kostenintensives Nickel und Cobalt verzichtet werden kann. Die LFP-Batterien sind so gut geworden, dass sie auch für anforderungsreiche Anwendungen wie in Autos eingesetzt werden können.
Gibt es auch Möglichkeiten, das Lithium zu ersetzen?
Als Alternative zeichnet sich der Ersatz durch Natrium ab, der prinzipielle Aufbau der Batterie bleibt dabei identisch. Die Natrium-Ionen-Batterie dürfte für den Einsatz in günstigen Autos und besonders für den stationären Einsatz als Stromspeicher im Netz in naher Zukunft interessant werden. Die fast unlimitierte Verfügbarkeit von Natrium (das Salz im Meerwasser) und der günstige Preis könnte die Leistungsdifferenz im Vergleich zu Lithium wettmachen.
In welchen Bereichen wird derzeit geforscht?
Ein weltweiter Forschungsfokus liegt für alle möglichen Batterietypen beim Ersatz des bisherigen Elektrolyten durch einen festen und nicht brennbaren Feststoff. Die Anforderungen sind nicht einfach zu erreichen, erste kommerzielle Produkte dürften aber mittelfristig verfügbar sein. Daneben gibt es schon seit langer Zeit bekannte Speicherkonzepte, bei welchen sich dank technologischen Fortschritten eine Wiederauferstehung abzeichnet. Beispiele dafür sind «heisse» Batterien mit geschmolzenen Salzen für stationäre Anwendungen im Stromnetz oder moderne Formen von Redox-Flow Batterien mit ähnlichem Funktionsprinzip wie bei Brennstoffzellen.
Inwieweit sollten wir uns überhaupt Gedanken über die Notwendigkeit von Alternativen zu Lithium-Ionen-Batterien machen? Gibt es bestimmte Anwendungsfälle, in denen Lithium-Ionen-Batterien unersetzlich sind, oder sollten wir uns auf alternative Technologien konzentrieren, um Umweltauswirkungen zu minimieren?
Gemäss unserem Wissensstand ist es tatsächlich so, dass Lithium-Ionen-Batterien, insbesondere LFP-Batterien, bereits heute so gut sind, dass sich ihr Einsatz rechtfertigt. Die Vorteile durch den möglichen Ersatz von fossiler Energie dank Batterien überwiegen die Nachteile durch den Rohstoff- und Energiebedarf bei der Produktion klar. Wir sollten also auch aus Umweltsicht nicht auf irgendwelche Alternativen warten, sondern die aktuelle Generation von Lithium-Ionen-Batterien nutzen.
Interview: Patrick Stämpfli