Sind Roboter bessere Personaler?
Künstliche Intelligenz begleitet uns heute in vielen Lebenslagen. Sprachassistenten helfen beim Einkauf, Haushaltsroboter reinigen selbstständig die Wohnung und Autos parkieren fahrerlos ein. Und auch beim Recruiting spielt KI eine immer grössere Rolle.
Viele HR-Prozesse lassen sich durch KI-Verfahren automatisieren und optimieren. Intelligente Software-Lösungen sind heute in der Lage, relevante Kandidaten auszuwählen und eigenständig Interviews zu führen. Die KI «Watson» des IT-Riesen IBM kann sogar mit einer 95 prozentigen Trefferquote erkennen, ob ein Mitarbeiter beabsichtigt, demnächst zu kündigen. Daraufhin schlägt die KI entsprechende Weiterbildungen oder Beförderungsmöglichkeiten vor.
Weil die verwendeten Algorithmen, die mit maschinellem Lernen arbeiten, Zusammenhänge eigenständig «erlernen», kann allerdings kaum gesagt werden, wie die entsprechenden Ergebnisse zustande kommen. Zudem hängen die Lernergebnisse wesentlich von der Qualität der Trainingsdaten ab. Enthalten die Trainingsdaten bereits bestimmte Tendenzen, etwa weil in der Vergangenheit mehr Männer als Frauen einge stellt wurden, kann dies zu Fehlern und diskriminierenden Algorithmen führen.
Im Interview spricht Reto Dürst, Geschäftsführer des St.Galler Personaldienstleisters Wilhelm AG, über den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Recruiting.
Reto Dürst, ist der Einsatz von KI im Personalwesen bei uns noch Zukunftsmusik oder bereits Arbeitsalltag?
Natürlich ist KI voll im Einsatz, teils gezielt und teils im Hintergrund. All unsere Handlungen im Internet bringen Folgeaktivitäten mit sich. Wenn ich heute im Web den Jahresbericht der St.Galler Kantonalbank lese, bekomme ich vielleicht schon morgen die neuesten Stellen als Pushnachricht. Bei der Suche nach Persönlichkeiten in Schlüsselposition wird «programmatic advertising» eingesetzt, um gezielter die Aufmerksamkeit der richtigen Personen zu erlangen.
Sind Roboter also die besseren Personaler?
Besser oder schlechter wird sich zeigen, sie haben zumindest weniger Homeoffice Ansprüche (lacht). Ein Vergleich oder die verlässliche Auswertung ist allerdings schwierig. Die Bedürfnisse der Gesellschaft, wie beispielsweise die Mobilität, ändern laufend. Dies bringt auch veränderte Fluktuationsraten oder andere Werte bezüglich Mitarbeiterzufriedenheit mit sich.
Was kann KI denn heutzutage im Recruiting bereits leisten?
Durch die richtigen Recruiting-Technologien (matching tools) ist es möglich, Kandidaten und Stellen schneller und präziser zusammenzubringen. Nebst besserer Übereinstimmung lässt sich dadurch vor allem mehr Effizienz schaffen. Aus meiner Sicht lohnt es jedoch, die gesparte Zeit in persönliche Gespräche zu investieren. Ein solches Gespräch wird KI nicht ersetzen können.
Und wie sieht es aus mit Objektivität und Bauchgefühl – beides zusammen zeichnet ja einen guten (menschlichen) Personaler aus. Kann KI da mithalten?
Objektivität ist ein grosser Vorteil von KI. Standardisierte Tests können die Personalauswahl sehr stark unterstützen. Mithalten beim «Bauchgefühl» ist für den Roboter allerdings schwierig. Die KI lernt mit Erfahrungen und Daten dazu. Da viele Personalentscheide, speziell in der Schweizer KMU Landschaft, nicht in grosser Anzahl gefällt werden, schreitet dieser Vorgang derzeit nur schleppend voran oder ist gar sehr fehleranfällig.
Es ist also Vorsicht geboten?
Ja. Wie vorhin erwähnt sind Datenmenge und Datenqualität ausschlaggebend. Ergänzend sind die Bewerbungsunterlagen individuell erstellte Dokumente. Clever verfasste CVs können den Roboter sehr einfach überlisten.
Wie das?
Papier nimmt alles an. Bewerber verstehen es immer häufiger, ihren CV strategisch mit Suchbegriffen zu versehen, um den Roboter zu überlisten. Dadurch kommen diese unpassenden Interessenten im Selektionsprozess weiter und beanspruchen in der Folge viele Ressourcen. Natürlich ist der Mensch diesbezüglich ähnlich manipulierbar. Die Kehrseite ist ebenso einflussreich: Viele sind nicht in der Lage, in ihrem CV das Wesentliche komplett und korrekt aufzulisten und überstehen dadurch die Computer gesteuerte Vorselektion nicht.
Wie wird sich Ihr Arbeitsalltag mit dem Einsatz von KI in den kommenden Jahren verändern?
Verschiebungen im Einsatz der Ressourcen werden voranschreiten. Einzelne Prozessschritte werden verschwinden, andere ausgebaut. Als Personaler muss man Menschen mögen, und das wird der KI vermutlich auch in Jahren noch schwerfallen. In der Schweiz sind 99 Prozent der Unternehmungen KMU. Die meisten Arbeitnehmer erbringen ihre Leistung in Klein- und Mikrounternehmungen. Umso höher gewichte ich «hire for attitude, train for skills» und damit die persönliche Note in der Rekrutierung.
In welchen konkreten Bereichen unterstützt KI die Arbeit bei der Wilhelm AG bereits?
Wir lassen unsere Stelleninserate mittels gezieltem Mediaplan «pushen» und nutzen verschiedene Tools in der Personalselektion und im Active Sourcing. Unsere Geschäftstätigkeit und damit Kernkompetenz liegt in der Rekrutierung und Vermittlung, wodurch wir diesbezüglich eine grosse Anzahl Daten und Werte nutzen können.
Interview: Patrick Stämpfli