«Gamer sind Leute wie du und ich»

Alljährlich werden bei «The Games Awards» die besten Videospiele ausgezeichnet. Mit Roger Sieber war 2022 erstmals auch ein Schweizer in der Jury vertreten. Sieber ist Chef von «games.ch». Das Unternehmen mit Sitz in Walzenhausen veröffentlicht regelmässig Game-News und Testberichte. Im east#digital-Interview spricht Sieber über seinen Jury-Job in Los Angeles und die Schweizer Gaming-Szene.

Roger Sieber, du und das Team von games.ch sind letztes Jahr in der Jury der «Game Awards» gesessen. Wie war das für dich?
Der krasseste Moment war eigentlich, als Geoff Keighley, der Organisator der «Game Awards», mich angeschrieben hat und sagte, dass wir in der Jury seien, wenn wir wollen. Im ersten Moment habe ich gedacht, dass das ein Spam-Mail war. In Europa sind wir bekannt, aber dass wir bis in die USA Feedback bekommen; darüber waren wir sehr überrascht. Am Event selber war es auch spannend, mit den Entwicklern zu reden – und das nicht nur über Videospiele: Mit einem der Vizedirektoren von Naughty Dog habe ich über das Thema Brot gesprochen. Als gelernter Bäcker-Konditor konnte ich ihm Tipps geben.

Wie ist man überhaupt auf euch gestossen?
Das hat vermutlich damit zu tun, dass wir seit etwa zweieinhalb Jahren bei den «Metacritics» gelistet sind; das ist eine Seite, die alle Wertungen von namhaften Plattformen nimmt und einen Metawert berechnet. Basierend auf diesem wird ein Game dann bewertet. Warum genau wir jetzt reingerutscht sind, kann ich nicht beantworten; ich habe nicht nachgefragt.

An den «Game Awards» werden die besten Games des Jahres ausgezeichnet. War auch ein Game eines Schweizer Entwicklerstudios nominiert?
Wir haben in der ersten Runde ein Schweizer Game nominiert, in der Finalrunde war aber keines dabei. Dafür sind beim «Deutschen Entwicklerpreis» immer wieder Schweizer Spiele vertreten und gehen als Gewinner nach Hause.

Wenn Schweizer Games sogar schon Preise gewinnen: Was für bekannte Schweizer, vielleicht sogar Ostschweizer, Games gibt es?
Es gibt Games von Ostschweizern, aber die bekanntesten sind eigentlich aus dem Raum Zürich. Philomena Schwab aus Zürich zum Beispiel. Sie ist eine der bekanntesten Schweizer Videospielentwicklerinnen. Das bekannteste Spiel, welches ihr Team herausgebracht hat, ist «Niche»: ein Spiel, bei dem es um Genetik und «Survival of the Fittest» geht. Ihr aktuelles Game «The Wandering Village», ein Städtebau-Simulator auf dem Rücken einer riesigen, wandernden Kreatur. Mit diesem Game hat Schwab auch den Preis «Bestes Deutsches Spiel» 2022 gewonnen.

In den grösseren Schweizer Städten gibt es immer wieder Gaming-Events, zum Beispiel die Zurich Pop Con. Wären solche Events auch in der Ostschweiz vorstellbar?
Nein. In der Ostschweiz gibt es ein paar LAN- und E-Sport-Events, zum Beispiel der E-Event in Arbon, oder das «eSport.Business.Forum» der Olma Messen. Letzteres ist aber mehr ein Business Event, eine richtige Ausstellung gibt es nicht mehr. Bis in die frühen 2000er-Jahre gab es mal die Spielemesse in St.Gallen, aber diese ist bekanntlich eingegangen.

In der Ostschweiz ist es heutzutage also gar nicht mehr vorstellbar?
Das Problem ist, dass man in der Schweiz schauen muss, überhaupt Publisher und Aussteller zu finden, weil wir hier eigentlich gar keine Publisher mehr haben. Die einzigen, die noch hier sind, sind Plaion in St.Gallen, Nintendo in Olten und das Financial von EA – Electronic Arts in Genf; der Rest hat die Schweiz verlassen. Früher hatten wir Electronic Arts, ABC Software und Activision in Buchs, Sony Playstation in Schlieren oder auch Microsoft XBox und Ubisoft. Einer nach dem anderen hat dem Schweizer Standort den Rücken zugekehrt.

Warum?
Das eine ist sicher das Finanzielle, weil die Schweiz teurer ist als das Ausland. Das andere ist halt, dass konsolidiert wird. Es wird fast alles von Deutschland aus gemacht, es geht immer mehr online und man muss nicht mehr die lokalen Stores mit Spielen beliefern. In der Schweiz haben wir einen grossen Onlinehändler, das ist World of Games. Die Playstation VR2 kann man in Deutschland exklusiv bei Sony Playstation kaufen, in der Schweiz wird sie über World of Games vertrieben. Die Schweiz baut also eigentlich nur ab. Was aber schön ist: Es gibt immer mehr Indie-Entwickler, die teilweise auch von Pro Helvetia unterstützt werden.

Früher hat man an Arcade-Automaten in Spielhallen gezockt, heute zu Hause am Computer oder an der Konsole. Wie wird sich Gaming in den nächsten Jahren verändern?
Eine Kristallkugel habe ich keine, daher kann ich das nicht 100-prozentig voraussagen. Was momentan Trend ist, ist «Cloud Gaming». Samsung beispielsweise hat ihre Cloud-Gaming-App auf allen aktuellen Fernsehern, dabei arbeiten sie auch mit XBox zusammen. Für mich ist «Cloud Gaming» eher im Casual-Bereich interessant. Sobald man Hardcore zocken will, wird man damit nicht glücklich. Und sonst werden wir auch zukünftig Konsolen haben, die Rechenpower ist da.

Und das ist bei «Cloud Gaming» nicht der Fall?
Doch, aber nicht mit 4K-Auflösung und nicht mit 120 Frames pro Sekunde. Der Bereich wird sicher noch wachsen in Zukunft. Man redet auch schon seit Jahren, dass Konsolen aussterben, daran glaube ich aber nicht. Es wird auch immer mehr auf Smartphones gezockt. Bei den Handy-Games haben wir auch irgendwann mal eine Sättigung erreicht.

Roger Sieber: «VR-Spiele kann man nicht acht Stunden lang am Stück spielen.»

 

Wie sieht es mit Virtual Reality aus?
Da könnte noch einiges kommen, vor allem mit der Playstation VR2, die am 22. Februar veröffentlicht wurde. Das hat sicher Zukunft. Ein Problem ist aber, dass man VR-Spiele nicht acht Stunden lang am Stück spielen kann. Das Headset hat ein gewisses Gewicht und den Spielern wird teilweise schnell schlecht. Aber ich denke, dass noch ein paar ganz coole Sachen auf uns zukommen. In welchem Umfang, ist schwierig zu sagen, aber es wird spannend. In vielen Köpfen der älteren Generation sind Gamer ungepflegte, junge Nerds.

Wie sehr entspricht das Klischee heute noch der Realität?
Das Vorurteil besteht, entspricht aber seit Jahren nicht mehr der Realität. Gamer sind mittlerweile eine grosse, heterogene Masse, ein Querschnitt aus der Bevölkerung: Leute wie du und ich, aber auch Lehrerinnen, Bankdirektoren oder Forscher, die es einfach nicht an die grosse Glocke hängen. Immerhin spielen 60 Prozent der Schweizer Videospiele.

Interview: Patrice Ezeogukwu
Bild: Thomas Hary